Die Definition des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) ist relevant für die Aufmerksamkeit, die betroffenen Patienten damit zuteil wird. Die traditionellen Grenzen sind unbefriedigend, weil sie Patienten mit Problemen ausschließen. Neue Anpassungen (alle Menschen mit Diabetes und Neuropathie sollen laut DMP DM2 Aktualisierung 2017 Podologie zur Prophylaxe erhalten) schließen Menschen ohne Probleme ein. Definitionen sind zwischen verschieden Gesellschaften und Autoren verschieden. Zudem müssen Konzepte stimmig und Namen passend sein. Ein falscher Name verbunden mit einem unscharfen Konzept macht das Verständnis und die Geradlinigkeit der Therapiefindung schwieriger.

Laut der International Working Group on the Diabetic Foot ist der Diabetische Fuß wie folgt definiert[1]:
– Infection or Ulceration or destruction of deep tissues of the foot
– associated with neuropathy and/or peripheral arterial disease
– in the lower extremity of people with diabetes.
Kritische Einschätzung: Diese Definition beinhaltet auch ein Erysipel, nicht aber den Risikofuß oder den initialen Charcotfuß ohne „Zerstörung“. Auch Knöchelläsionen sind außen vor. Zudem hilft diese Definition bei der Abgrenzung nicht weiter, ab wann in der persönlichen Geschichte eines Menschen richtigerweise von einem Diabetischen Fuß zu sprechen ist.

Elemente einer guten Definition

Eine Definition einer Krankheit oder eines Syndroms sollte alle bekannten Formen einschließen (hier Diabetische Ulzera, diabetogene Charcotfüße und die Prophylaxe) und alle anderen Krankheiten oder Normalvarianten ausschließen. Elemente, die dafür hilfreich sein könnten:

  1. Diabetes: Typ 1 oder Typ2 oder Typ 3. Nur der Gestationsdiabetes (Typ 4) steht nicht in Zusammenhang mit dem DFS. Es gibt aber viele Menschen mit Neuropathien anderer Genese als Diabetes, die das gleiche Problem haben, aber von der notwendigen Versorgung ausgeschlossen werden.
  2. Polyneuropathie (PNP) und LOPS: Die PNP ist grundsätzlich präsent, kann aber schwer nachweisbar sein. Patienten mit DFS ohne PNP und nur mit pAVK sind selten. Sie stellen sich wegen Schmerzen früh bei Gefäßmedizinern vor und machen nicht den typischen Leidensweg des DFS-Patienten durch. Die oft ausgeführten 20% Patienten mit pAVK ohne Polyneuropathie sind wohl eher auf die Schwierigkeiten bei der Diagnose des Funktionsverlusts feiner Nerven (C-Fasern) zurückzuführen. So kann das Vibrationsempfinden trotz erloschenem Schmerzempfinden normal sein[2]. Die PNP vermag sehr verschiedene Symptome auszulösen, die von Kribbelparästhesien bis hin zu Lähmungserscheinungen reichen. Zur Diagnosestellung des DFS ist die eingeschränkte Schmerzwahrnehmung entscheidend. Dies wird auch als „lost of protective sensation“ = LOPS bezeichnet und ist eine klinische Einschätzung. Wer auf Wunden, Nekrosen oder eingebluteten Schwielen ungestört laufen kann, hat ein LOPS. Die typischen Neuropathietests sind nur Hinweise.
    Die Polyneuropathie ist außer für LOPS auch für Hautveränderungen, Atrophie der intrinsischen Fußmuskulatur, Deformitäten der Zehen, Atrophie des Fettgewebes und möglicherweise auch mehr verantwortlich. Eindrücklich wird das auf dem Bild (dankenswerterweise zur Verfügung gestellt von Dr. Horn, Krefeld) klar: Der Patient hat eine einseitige Neuropathie durch eine Wirbelsäulenerkrankiung ohne Diabetes. Sein rechter Fuß ist normal, sein linker Fuß weist Überlastungszonen, Deformitäten, Verletzungen und Hautveränderungen auf, wie wir es vom DFS kennen.
  3. Deformitäten wie Krallenzehen oder Senk-Füße: Es gibt nur wenige DFS-Patienten, die keine Deformitäten an den Füßen haben. Es haben aber auch viele andere Menschen mit zunehmendem Alter Fußdeformitäten, insbesondere wenn sie in der Jugend intensiv sportlich tätig waren. Darum ist dieses Kriterium nicht relevant eingrenzend.
  4. Präulzerative Läsionen: Es ist nicht geklärt, welche Schädigungen als präulzerative Läsionen gelten sollen. Sicher gehören schmerzlose Hyperkeratosen mit Einblutung dazu. Solche Hyperkeratosen kommen ohne LOPS nicht vor und sind die Vorstufe vieler Ulzera. In manchen Publikationen werden auch Blasen oder Hämatome anderer Art dazu gezählt, die aber auch ohne LOPS häufig sind, also das Krankheitsbild nicht wirksam eingrenzen.
  5. Am Fuß: Der Fuß ist per Definition die Struktur unterhalb der Knöchel. Fuß und Unterschenkel gehören aber funktionell zusammen. Zumindest die Knöchelregion und der Bereich der Achillessehne offenbaren viele der typischen Probleme, einschließlich der Gefahr hoher Amputationen wie beim DFS. Daher sind in Verträgen Ulzera an den Unterschenkeln bei Menschen mit Diabetes oft mit abgedeckt.

Ist der Name „Diabetisches Fußsyndrom“ überhaupt richtig?

Das ist nicht das Thema dieses Posts. Für die Menschen mit Neuropathie ohne Diabetes wäre es gut, die Verbindung zum Diabetes im Namen des Syndroms zu ersetzen. Es geht um Menschen, die ihre schützende Sensibilität verloren haben und darunter Schaden erleiden. Das sollte das auch der Kern des Namens und der Definition sein. Die meisten Betroffenen sind zwar an Diabetes mellitus erkrankt, aber einige auch nicht. Daher wäre es wahrscheinlch analog zum diabetogenen Charcotfuß richtiger, von einem diabetogenen Neuropathiefuß zu sprechen. Aber das ist ein anderes Thema.

Wie könnte eine gute Definition sein?

Die meiner Meinung nach sachgerechteste Definition ohne Berücksichtigung von Durchsetzbarkeit und Tradition ist die Folgende:

Menschen mit einem Diabetischen Fuß haben
1. eine PNP mit LOPS und evtl. weiteren Symptomen
2. zumindest präulzerativen Läsionen an Fuß oder distalem Unterschenkel oder einen Charcotfuß, beides entweder aktuell oder in der Vergangenheit
3. Diabetes Typ 1, 2 oder 3

Die größte Bedeutung dürfte der Einschluss von Pathologien am distalen Unterschenkel haben

Das ist wichtig, da es für die Einstufung von Risiko und Prognose und damit Intensität der Therapie hat. Zudem ist es wesentlich bei der Auswahl der versorgenden Institution.
Begründung für das abweichende Kriterium: Fuß und Unterschenkel sind eine funktionelle Einheit. Die chirurgischen Fachgesellschaften nennen sich „Foot and Ankle Surgeons“. Läsionen am distalen Unterschenkel in der Knöchelregion und an der Achillessehne haben den typischen Verlauf mit später Wahrnehmung der Gefahr und dem Risiko schwerwiegender Amputationen wie am Fuß gelegene Schädigungen.

Menschen mit einem DFS in Prophylaxe sollten zumindest eine „präulzerative Läsion“ gehabt haben

Das kann von Bedeutung sein, weil es den gezielten Verbrauch von Ressourcen anstrebt.
Begründung der Einschränkung: Die pathologische Hautschädigung durch Druck lässt erkennen, dass es sich nicht nur um ein hypothetisches Risiko handelt. Ca. 40% der Menschen mit Diabetes haben eine PNP, ca. 10% ein DFS. Alle PNP-Patienten zu DFS-Patienten zu machen hätte viele Nachteile. Schon die 10% der Menschen mit Diabetes und eindeutigem DFS finden in vielen Regionen kaum Podologen, die sie zu Konditionen gesetzlicher Krankenkassen versorgen. Die Menschen, die wirklich ein DFS haben, werden noch schlechter versorgt sein, wenn 2,5 % aller Bewohner der Bundesrepublik Podologie auf Krankenkassenkosten erhalten sollten. Dann bekommt es im Zweifel der, der sich am besten im System bewegt und nicht, wer es am dringendsten braucht.

Zur Konkretisierung des Krankheitsbildes wäre eine Neueinordnung von Neuropathie und Angiopathie gut

Die weiteren Unterschiede gegenüber anderen Definitionen betreffen die Klarheit des Krankheitsbildes und haben daher eine mehr konzeptionelle Bedeutung.
Begründung PNP mit LOPS: Aus dem bunten Spektrum der Folgen einer PNP ist der Schutzfunktionsverlust der Schmerzen führend. Deshalb muss eine Neuropathie, die zum DFS führt, zwingend unter den neuropathieassoziierten Symptomen zur LOPS geführt haben. Weitere Folgen der PNP können dazu kommen, sind aber nicht zwingend: Muskel- und Fettgewebsatrophie, Deformitäten, trockene Haut und evtl. weitere.
Begründung des Weglassens der pAVK als Alternativkriterium zur PNP: Patienten mit pAVK ohne LOPS wenden sich früh an Gefäßmediziner und haben einen anderen Krankheitsverlauf, den der pAVK. Der Diabetes ist bei ihnen lediglich ein Risikofaktor der Arteriosklerose, ansonsten aber ein unschuldiger Zaungast. Daher haben sie genauso wenig einen „Diabetischen Fuß“ wie sie einen „Hypertonen Fuß“ oder „Cholesterinfuß“ usw. haben, nur weil beides Risikofaktoren für eine pAVK sind. Die pAVK ist ein entscheidender Aggravator („Verschlimmerer“). Daher kann es sinnvoll sein, Menschen mit einem angoneuropatischen DFS Menschen gegenüber Menschen mit einem rein neuropatischen DFS besonders hervorzuheben.

 

  1. International Working Group on the Diabetic, F. The 2015 IWGDF guidance documents on Definitions and Criteria. 2016 09.06.2017 [cited 2017 09.06.2017]; Available from: http://iwgdf.org/guidelines/definitions-criteria-2015/.
  2. Liniger, C., et al., The tuning fork revisited. Diabet Med, 1990. 7(10): p. 859-64.